Was mir als wichtiger Teil der Erinnerungskultur fehlt – oder ein kleiner Denkanstoß an diejenigen, die immer wieder Anti-Migrations-Memes teilen…
Erst vor kurzem fanden wieder die jährlichen Gedenkfeiern für die Opfer des Holocausts statt. Wieder einmal war ich sehr betroffen über die Grausamkeit, zu der Menschen fähig sind. Menschen wie du und ich, wenn die Umstände schrecklich genug sind.
Wieder einmal war ich überrascht und entsetzt, wie schwer es eigentlich ist, unsere schreckliche Geschichte an jüngere Generationen zu vermitteln, obwohl das die beste Prävention sein sollte, damit sich so etwas Grauenvolles nicht noch einmal wiederholt!
Und zum ersten Mal ist mir etwas ganz Entscheidendes aufgefallen: Bei Facebook werden ständig flüchtlingsfeindliche Bilder, Falschmeldungen, „witzige“ Memes und auf den ersten Blick logische und eingängige Schreckensszenarien über den Untergang des deutschen Volkes gepostet. Es werden Angst und Aversionen geschürt weil die „gierigen Migranten, die zu faul sind, zu arbeiten und nur herkommen, weil sie uns überrennen und ausnutzen wollen, uns bald zahlenmäßig überlegen sein werden“… Ja, sowas taucht sogar in meiner Timeline auf, da ich offensichtlich Leute kenne, die so etwas nicht nur unreflektiert teilen und verbreiten, sondern sogar glauben!
Und als ich wieder einmal den Kopf über diesen Schwachsinn schüttelte, fiel mir wie Schuppen von den Augen, was seit Jahren mit keinem einzigen Wort in den Medien und bei den Gedenkveranstaltungen erwähnt wird: Der Nationalsozialismus war nicht „nur“ für etliche Tode, Morde, Hinrichtungen, Internierungen, menschenverachtende Experimente und andere Gräuel verantwortlich! Nein, er war auch dafür verantwortlich, dass etwa 300.000 – 500.000 Menschen auf der Flucht waren. Menschen mit deutschem Pass! (Zusätzlich noch die vielen Menschen, die aufgrund des zweiten Weltkriegs heimatlos wurden)
Ja, es ist noch keine 100 Jahre her, da war Deutschland kein sicheres Herkunftsland! Da waren es unsere eigenen Landsleute, die aus ihrem eigenen Land geflohen sind und gehofft haben, irgendwo aufgenommen zu werden und Asyl zu finden!
Wenn wir unsere heutigen Maßstäbe anlegen würden, ob jemand Asyl bekommt, wie hätte das dann damals ausgesehen? Was wäre aus den Wissenschaftlern, Künstlern, Schriftstellern, Homosexuellen, „normalen“ Bürgern geworden, die zwar einen „Ariernachweis“ hatten aber nicht schweigend zusehen konnten und wollten, was um sie herum Schreckliches geschah? Sie hätten sich nur anpassen brauchen, wären nicht verfolgt worden und hätten also keinen Asylgrund gehabt??? Hätten sie bleiben und schweigen sollen? Nein!
Worauf ich hinaus will ist Folgendes: Vor nicht einmal 100 Jahren sind Hunderttausende Menschen aus Deutschland geflohen und in aller Welt aufgenommen worden und heute haben wir die Möglichkeit, diese Freundlichkeit und Menschlichkeit zurück zu geben! Und was passiert? Überall liest man „wir haben kein Platz“, „Wirtschaftsflüchtlinge“, „Schmarotzer“ etc. Dabei müssten gerade wir Deutschen genau wissen, dass niemand freiwillig flieht, dass niemand freiwillig ein gutes Leben zurücklässt, wenn es nicht unbedingt sein muss.
Und ich finde: dieser Aspekt fehlt in unserer Erinnerungskultur! Wir sollten nicht nur der Toten und der Vertrieben gedenken, sondern auch den zwangsweise und freiwillig Geflohenen (wobei, wer rechtzeitig flieht noch als „Auswanderer“ bezeichnet wird, auch wenn sich die Tatsache nicht ändert) und unserer eigenen Flüchtlingskultur! Wir sollten der Freundlichkeit gedenken, mit der viele unserer eigenen Landsleute aufgenommen wurden und die Erinnerung daran bewahren, dass jedes Land – egal wie wohlhabend es zu irgendeinem Zeitpunkt einmal sein mag – jederzeit zu einem hilfebedürftigen oder unsicheren Land werden kann. Wir sollten uns daran erinnern, wie es ist, menschlich zu sein und wir sollten anderen helfen, so wie uns einmal geholfen wurde!