Was kommt auf einen zu, wenn man einen Angehörigen zu Hause pflegt? Teil 4 – mögliche persönliche Belastung durch die Reaktionen der Gesellschaft
Vermutlich fragt Ihr Euch jetzt, was denn da für Reaktionen kommen könnten, die einen nicht nur belasten, sondern auch interessieren. Vor allem: was interessieren mich denn x-beliebige Leute? Nur sind es dummerweise nicht irgendwelche x-beliebigen Leute, sondern auch Freunde und Bekannte, die einfach nicht verstehen, warum man sich lieber unbezahlt um jemanden kümmert, als anständig Geld zu verdienen.
Leider scheint in der heutigen Gesellschaft das einzige legitime Ziel für jeden zu sein: Geld verdienen. Ich habe bisweilen schon das Gefühl, dass man geradezu gezwungen wir, Karriere zu machen. Natürlich finde ich gut, dass die Kinderbetreuung weiter ausgebaut wird und dass Arbeitgeber flexibler werden (Natürlich gibt es auch immer noch Verbesserungsbedarf, damit man Kinder und Karriere gut vereinbaren kann, darum geht es hier aber nicht). Doch möchte ich auch weiterhin die Wahl haben, ob ich Karriere machen WILL oder eben NICHT!
Als ich bei meinem ersten Kind in Elternzeit ging, wurde schon recht früh gefragt, wann ich denn anfangen möchte zu arbeiten… Als dann die Elternzeit rum war, schlich sich bei den meisten ein „endlich“ in die Frage… Da ich aber (geplant) bereits wieder schwanger war, als die Große in die Krippe kam, stellte sich mir diese Frage erst einmal gar nicht. Dann kam die zweite Elternzeit, dieselben Fragen. Nur war es diesmal schon: „Willst du denn überhaupt irgendwann arbeiten gehen?“ Natürlich wollte ich! Bin ich dann auch als der Zeitpunkt für mich gepasst hat. Alle waren zufrieden.
Und dann wurde klar, dass meine Großeltern nicht mehr alleine für sich sorgen können. Meine Mutter und mein Onkel waren zwar jeden Tag zur Unterstützung da, doch fehlte eine Betreuung am Vormittag. Ich musste nicht lange überlegen, da auch mein Mann hinter meiner Entscheidung steht. Also suchte ich mir nach dem Umzug zurück in die Heimat keinen neuen Job, sondern beantragte Pflegegeld und die Anerkennung als Pflegeperson für meine Großeltern. Soweit, so gut.
Dachte ich. Natürlich gibt es auch Menschen, die es toll finden, dass ich mich um meine Großeltern kümmere. Dass ich aus Liebe meinen Job aufgegeben habe. Dass ich das mache, was ich gern mache. Aber, das sind vor allem ältere Leute. Die Reaktionen aus meiner eigenen Generation hören sich eher so an:
„Aha. Ja, willst du denn nicht arbeiten?“, „Jetzt hast du so lange studiert, willst du das einfach wegwerfen?“, „Stört es dich nicht, dass die Uni dann umsonst war?“, „Und was willst du dann hinterher machen? Du bist jetzt ja schon ziemlich lange aus dem Beruf raus.“… Mein Negativ-Liebling ist folgendes Zitat (das traurigerweise aus meinem engeren Freundeskreis kam): „Könnt Ihr Euch das Heim nicht leisten?“ Doch, wir könnten uns das Heim leisten. Meine Großeltern könnten es sich sogar selbst leisten. Als Enkelin bin ich dafür nämlich gar nicht zuständig… Nur, möchte ich einfach, dass sie so lange es irgendwie geht zu Hause bleiben können, wenn sie das wollen. Und da es bisher gut klappt, nehmen mein Mann und ich die finanziellen Einschränkungen gerne hin. Auch, wenn es völlig unüblich ist, nie in Urlaub zu fahren und nur bei Aldi einzukaufen…
Natürlich mache ich ziemlich große Abstriche bei Rente und Einkommen (mehr dazu in Teil 1 – finanzielle Aspekte) und natürlich wird es schwer nach so langer Pause als Diplom-Psychologin wieder Fuß zu fassen.
Meistens fallen die Reaktionen dann angenehmer aus, wenn man erklärt, dass man die Zeit für die Rente anerkannt bekommt. Doch habe ich da auch schon gehört: „Na, das kann ich mir bei dir vorstellen.“ Wobei ich bis heute nicht weiß, was diejenige damit gemeint hat (bin ich so organisiert, zuverlässig, korrekt, dass ich alles in offiziellen Bahnen laufen lasse? Ja, bin ich. Oder bin ich einfach jemand, der mitnimmt, was geht? Nein, definitiv nicht!)
Auch wenn es zuerst abwegig klingt: Macht Euch bewusst, dass Ihr den vorgegebenen Pfad verlasst, wenn Ihr jemanden zu Hause pflegt. Und es war noch nie einfach gegen den Strom zu schwimmen! Denn was mir vorher nicht klar war, inzwischen aber ziemlich schmerzlich bewusst geworden ist: viele Menschen denken schlicht und ergreifend: „Die ist einfach zu faul zum Arbeiten!“ Das ist hart, ungerecht und so weit von der Realität entfernt wie es nur geht. Doch weh tut es trotzdem! Und leider glaube ich nicht, dass diese Sichtweise allzu bald korrigiert werden kann.