Pflege zu Hause – der Besuch der GutachterInnen
Falls sich eine oder einer von Ihnen schon mal mit dem Gedanken beschäftigt hat, einen Angehörigen zu Hause zu pflegen hier ein paar Tipps zu der Pflegegrad-Einstufungs-Begutachtung:
Der Antrag auf einen Pflegegrad ist gestellt und jetzt steht der Termin mit den Gutachtern ins Haus. Als das Thema für mich relevant wurde, recherchierte ich im Internet und der Tenor war eindeutig: üben Sie mit den pflegebedürftigen, ihre Bedürftigkeit zu zeigen. Sogar der offizielle Ratgeber der Krankenkasse vermittelte das Bild als wäre eine Einstufung in einen Pflegegrad nur möglich, wenn man vorher ausgiebig wie in einem Theaterstück einstudiert, was die ältere Person alles nicht können darf, da viele ältere Leute dazu neigen, sich bei diesem Termin extra fit in Szene zu setzen und aus Stolz so zu tun als bräuchten sie keine Hilfe. Teilweise wird sogar das Bild vermittelt, die GutachterInnen kämen mit der Absicht sowieso nichts anzuerkennen, um der Pflegekasse Geld zu sparen. So vermitteln einige Beiträge das Bild der bösartigen, fallenstellenden Gutachtern, die die unbedachten älteren Leute mit vielfältigen Tricks dazu verleiten sich zu verraten, indem sie plötzlich doch einen Pulli allein anziehen können. Oder doch ein Glas Wasser holen, ohne ihre Gehhilfe zu benutzen.
Meine tatsächliche Erfahrung war hingegen völlig anders: zwei sehr nette nicht mehr jugendliche Damen kamen zum vereinbarten Termin und nahmen sich viel Zeit um mit meiner Oma zu sprechen. Wenn meine Oma erzählte, was sie noch kann, ließen sie sich das von mir bestätigen beziehungsweise korrigieren. Durch die nette Gesprächsatmosphäre fiel es meiner Oma (damals 83 Jahre alt mit beginnender Demenz und anderen Gebrechen) leicht, tatsächliche Einschränkungen bei genauerem Nachfragen offen zuzugeben. Und ihr wurde auf sehr nette Art die Befangenheit genommen. Also das genaue Gegenteil der Beschreibungen im Internet. Auch blieb genug Raum hinterher unter sechs Augen (ohne meine Oma) zu sprechen, damit ich nicht in ihrem Beisein auf offensichtliche Fehler in ihren Angaben hinweisen musste und sie somit nicht bloßgestellt wurde.
Mein Fazit: ohne Einstudieren der Hilflosigkeit, Auswendiglernen vorgegebener Antworten und ohne Übertreibungen wurde meine Oma problemlos in den gewünschten Pflegegrad eingestuft.
Wichtig: Halten Sie wirklich ALLE medizinischen Unterlagen bereit! Auch wenn sie noch so unwichtig erscheinen, geben sie doch Aufschluss über die Zeit, die Sie auch in Arztbesuche investieren. Auch scheinbar ergebnislose Arztbesuche erzählen ihre eigene Geschichte: beispielsweise hatte meine Oma einmal sehr stark abgenommen und musste deswegen einen Facharzt aufsuchen, welcher keine medizinische Ursache festgestellt hatte. Als es nun darum gig, ob sie denn noch selbst kochen könnte und ob sie genügend äße, behauptete sie natürlich stolz, dass sie natürlich genügend essen würde und auch noch kocht. Da sie zu diesem Zeitpunkt jedoch wegen ihrer starken Rückenschmerzen nicht mehr länger stehen konnte, kochte sie aber nur noch selten. Und wenn, dann nur Nudeln, die ihr aber nicht schmeckten. Kurz zuvor hatte ich also das Kochen für sie übernommen, sie hatte es aber noch nicht so richtig wahrhaben wollen, dass die Zeit des Kochens für sie endgültig vorbei ist. Als sie nun behauptete, wunderbar zu kochen und zu essen, konnte ich somit den Befund über die bedenkliche Gewichtsabnahme zeigen und diskret darauf hinweisen, dass wir über Essen auf Rädern gesprochen haben, sie das bisher wegen der damit verbundenen Kosten jedoch ablehnt und daher ich koche. Daraufhin wurde näher gefragt, was sie denn so isst und dann gab meine Oma auch zu, dass sie vor allem mal eine Banane oder ein Brot isst und lobte dann meine Kochkünste, womit dann klar war, dass sie selbst nicht mehr kocht, was dann auch so protokolliert wurde.
Und aus der Liste, welche Medikamente eingenommen werden, lassen sich leicht Rückschlüsse auf den tatsächlichen Zustand der Pflegebedürftigen ziehen. Wenn also jemand behauptet, völlig fit zu sein und keinerlei Hilfe zu benötigen aber regelmäßig eingenommenen Medis eine andere Geschichte erzählen, spricht das deutlich zu Ihren Gunsten.
Ebenfalls sollten Sie den vorher zugeschickten Fragebogen ausgefüllt bereitliegen haben. Dieser wird dann mitgenommen und in Ruhe bei der Bearbeitung Ihres Antrages gelesen. So bleibt mehr Zeit für das persönliche Gespräch.
Was ich meiner Oma jedoch öfters gesagt habe, bevor dieser Termin stattfand war: Es kommt kein Besuch, du bist NICHT die Gastgeberin. Die beiden Damen kommen, um sich mit dir darüber zu unterhalten, wie es dir geht. Und wenn du sagst, dass etwas schwierig für dich ist, ist das völlig in Ordnung und KEIN Jammern (ihre Generation hat so verinnerlicht, nicht vor Fremden zu jammern, dass ich ihr das doch ins Gedächtnis rufen musste).
Ach ja, die Wohnung muss nicht auf Hochglanz geputzt werden. Wenn es mit dem Putzen nicht mehr so gut klappt, darf man das auch sehen 😉
Fazit: meine persönliche Erfahrung hat mir den überall geschilderten Horrorstorys nicht das Geringste gemeinsam. Lassen Sie sich nicht entmutigen. Stellen Sie einen Antrag, wenn Sie pflegebedürftige Angehörige haben und lassen Sie sich nicht abschrecken!
Infos allgemein zu den Pflegegraden oder wie es ist, Angehörige zu Hause zu pflegen, werden in Kürze ebenfalls kommen…