häusliche Pflege

Was kommt auf einen zu, wenn man einen Angehörigen zu Hause pflegt? Teil 3 – die persönliche Belastung durch die Pflege an sich

Da „persönliche Belastung“ vermutlich für jeden etwas Anderes beinhaltet, werde ich im folgenden Artikel zwischen der offensichtlichen Arbeitsbelastung an sich und der emotionalen Belastung unterscheiden. Natürlich sind diese beiden Bereiche eng miteinander verbunden, da eine beispielsweise körperliche Belastung auch zu einer emotionalen wie Stress führen kann, doch neigt man oft dazu, die emotionale Seite zu unterschätzen. Daher werde ich auf sie gesondert zurückkommen.

  1. Belastungen durch die Pflege an sich

Zum einen gibt es die zeitliche Belastung durch mit zunehmender Gebrechlichkeit immer häufiger werdenden Arztterminen, die auch immer mehr organisatorischen Aufwand bedeuten. Zusätzlich werden auch verschiedene Notfälle mit der Zeit (mit zunehmendem Alter oder zunehmender Gebrechlichkeit) häufiger werden. Dies können beispielsweise nächtliche Panikanfälle, schmerzbedingte Unfähigkeit aufzustehen, ein Schlaganfall, Schwächeanfall, Kreislaufprobleme oder ähnliches sein. Was alle diese Notfälle gemeinsam haben, ist, dass sie umgehende Unterstützung benötigen.

Dann darf man nicht überschätzen, dass man selbst ebenfalls älter wird. Dies sehe ich deutlich am Beispiel meines Onkels, der den größten Teil der Pflege seiner Mutter / meiner Oma übernimmt: mit jedem Jahr, das wir pflegen, wird auch er ein Jahr älter und gebrechlicher. Wenn man nur für sich selbst sorgt, fällt das nicht so auf, da man instinktiv anfängt, sich zu schonen. Beispielsweise schleppt ma für sich selbst irgendwann keine schweren Dinge mehr. Für jemand anderen reißt man sich jedoch zusammen, auch wenn der Rücken dabei laut protestiert. Oder man richtet sich seine eigene Wohnung für sich passend ein, beispielsweise hat man mit einer Körpergröße von 1,94m eine andere Höhe der Arbeitsfläche in der Küche als eine alte Frau mit vielleicht 1,60m. Und doch steht man für jemand anderen gebückt da und schneidet Gemüse… Auch wird man selbst stressanfälliger, der Kreislauf wird weniger stabil, die Hitze macht einem mehr aus und man kann nicht einfach zu Hause bleiben…

Des Weiteren ist da die doppelte Haushaltsführung: man putzt deutlich mehr als doppelt so viel wie vorher. Dies liegt zum einen daran, dass bei älteren Leuten tatsächlich mehr zu putzen anfällt (z.B. wird die Toilette nicht immer zuverlässig getroffen oder extrem trockene Haut schuppt sehr stark oder die zitternde Hand verschüttet immer öfter das Wasser, den Saft oder die Sauce oder andere Dinge passieren). Zum anderen kann es aber auch sein, dass ältere Leute, wenn sie sich langweilen, geradezu nach irgendwelchen Staubkörnchen oder Fusselchen zu suchen scheinen, die sie natürlich umgehend entfernt haben wollen… Und der eigene Haushalt lauert dann ja auch noch, den ich leider immer mehr vernachlässige…

Je nach Pflegegrad kommt noch dazu, dass man dem Pflegebedürftigen bei äußerst intimen alltäglichen Dingen helfen muss: waschen, auf die Toilette gehen, Nägel schneiden, eincremen, Zähne putzen, das Gebiss einlegen und… und… und…

Und was macht man, wenn plötzlich Rechnungen nicht mehr pünktlich bezahlt werden, derjenige aber kein Einzugsverfahren möchte, da er jeglichem fremden Zugriff auf sein Konto misstraut? Oder die Steuererklärung zum ersten Mal nicht mehr klappt? Und man sich nicht nur mit der Bürokratie sondern auch möglicher Uneinsichtigkeit auseinandersetzen muss? Hierzu ein Zitat: „Ich hab das schon gemacht, da warst du noch nicht mal geboren! Es dauert jetzt halt alles ein bisschen länger, das heißt aber nicht, dass ich zu senil bin, um mich selbst darum zu kümmern!“

Zu erwähnen ist auch noch der Balanceakt zwischen der reinen pflegerischen und häuslichen Tätigkeit (kochen, putzen, bei Hygiene helfen, Verbände wechseln etc) und der „menschlichen Arbeit“: gegen Langeweile ankämpfen (aktiv beschäftigen), ein Zuhörer sein (auch bei unangenehmen Themen wie das Sterben), Gesellschaft leisten (beispielsweise beim Essen, da allein viel weniger gegessen wird) und die Neugier, was das eigene Leben angeht, befriedigen. Dies alles zeitlich unter einen Hut zu bekommen, ist eine rechte Herausforderung. Schließlich ist für den Betroffenen die menschliche Seite oft höher gewichtet als die andere, die jedoch auch „abgearbeitet“ werden muss.

Je nach Grund für die Pflegebedürftigkeit steht auch immer eine mögliche zukünftige Bettlägerigkeit im Raum, sofern sie nicht von Anfang an vorhanden ist, die mit zusätzlichen Herausforderungen aufwartet (wundliegen, Thromboserisiko, noch mehr Langeweile usw.)

Wichtig ist es, wenn man jemanden pflegt, dass man seine eigene Gesundheit nicht vernachlässigt! Denken Sie an Ihren Rücken, Ansteckungsrisiken bei (Gürtelrose, Grippe, Erkältung, Ausschlag, etc.), Burn Out, genügend trinken und all die anderen Dinge, die wir bei uns selbst gerne vernachlässigen.

Nach dieser umfangreichen Liste geht es nun weiter mit den nicht so offensichtlichen, daher oft unterschätzten und doch mindestens genau so ausgeprägten emotionalen Belastungen einer Pflegesituation.

2. Emotionale Belastung

Die größte emotionale Belastung, auf die man sich einstellen muss ist folgende: ertrage ich es, jeden Tag mitzuerleben, wie sich der körperlich und mentale Zustand eines geliebten Menschen von Jahr zu Jahr, Monat zu Monat, Tag zu Tag und irgendwann womöglich stündlich oder minütlich verschlechtert?

Ertrage ich es, hilflos zuzusehen, wie der geliebte Mensch immer mehr verschwindet und am Ende womöglich nur noch eine leere Hülle ist, die nur so aussieht, wie der Mensch, den man liebt?

Ertrage ich es, die zustands- oder krankheitsbedingten Launen dieses geliebten Mensches auszuhalten? Zum Beispiel aus heiterem Himmel kommende Wut, Aggression, Trauer oder Verzweiflung? Ertrage ich es, grundlos angeschnauzt zu werden ohne zurück zu schnauzen? Ertrage ich es, wenn derjenige ein paar Minuten später sich völlig verzweifelt entschuldigt und meint, er wisse selbst nicht, was los ist, weil „in meinem Kopf alles in Unordnung ist“?

Bin ich geduldig genug fünf- oder mehrmal hintereinander das gleiche zu sagen oder zu hören? Hier ein kleines Beispiel: „Ich habe solche Rückenschmerzen!“, „Möchtest du eine Schmerztablette nehmen?“, „Nein!“ 3 Minuten später: „Ich habe solche Rückenschmerzen!“, „Möchtest du mir vielleicht das Staubtuch geben? Wenn du jetzt gebückt dastehst und Staub wischt, ist das für deinen Rücken sicher nicht gut, oder?“, „Was soll ich denn sonst machen, ich bin doch zu nichts mehr zu gebrauchen!“, „Du kannst malen, lesen, meditieren, dich ein wenig hinlegen, das tut dem Rücken gut.“, „Ich lege mich ein bisschen hin.“ Also auf die Couch, zudecken, fragen, ob sie Musik hören möchte. 5 Minuten später kommt sie z.B. in die Küche, wo man gerade bügelt, kocht, was auch immer macht und sucht das Staubtuch: „Ich habe solche Rückenschmerzen! Und ich hab schon so lange nicht mehr Staub gewischt!“… und das ganze Spiel geht von vorne los, immer wieder und wieder. Und am liebsten möchte man schreien: „Jetzt nimm endlich die verdammte Tablette und bleib mal länger als 5 Minuten liegen!“ Schaffe ich es, das nur zu wollen und nicht zu tun? Die ehrliche Antwort ist: meistens, aber nicht immer, wobei ich nicht schreie aber man mir den genervten Unterton anhört, was mir sofort leid tut.

Ertrage ich diesen hilfesuchenden und doch leeren Blick, an dem man sofort merkt, dass gerade eine schlechte Phase ist? Die schlechtesten Phasen sind die, in denen die Demenz weit genug fortgeschritten ist, dass die Betroffenen merken, dass sie nicht mehr Herr ihres Verstandes sind. Wenn sie mit voller Wucht merken, dass einfach nichts mehr stimmt und sie nichts dagegen tun können und hoffen, dass man selbst ihnen helfen kann.

Ertrage ich das Gefühl der Hilflosigkeit?

All dies ist beispielsweise bei Demenz allgegenwärtig. Und es ist alles andere als leicht. Und ehrlich gesagt, merkt man erst, wie real diese Problematik ist und wie man selbst darauf reagiert, wenn sie tatsächlich eintritt.

Die emotionale Belastung ist natürlich nicht nur bei Demenz gegeben, ich habe die Demenz nur als anschauliches Beispiel gewählt. Aber die Hilflosigkeit oder die Stimmungsschwankungen sind beispielsweise auch bei geistiger Behinderung, Bettlägerigkeit und vielen anderen Beeinträchtigungen gegeben. Schleichende oder abrupte Verschlechterungen des allgemeinen Zustandes sind aber auch bei rein körperlichen Erkrankungen jederzeit möglich und die damit einhergehenden Gefühle dürften weitgehend übertragbar sein.

Und die Herausforderungen an die Pflegenden sind so individuell und vielfältig wie die zu Pflegenden Angehörigen, da jeder von uns einzigartig ist.

Sollte ich wichtige Punkte vergessen haben, freue ich mich über Anregungen! Kommentare sind gern gesehen 😉

Eine Antwort schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert