Was ich gerade lese…
Aktuell bin ich an der Lord Peter Wimsey-Serie von Dorothy Sayers hängengeblieben. Ich hatte mir den ersten Band „Der Tote in der Badewanne“ probehalber bei meiner vorletzten gebrauchte-Bücher-Bestellung mitbestellt und wollte der 1926 gestarteten Serie eine Chance geben. So folgte die nächste Bestellung. Nachdem ich mit Teil zwei
„Lord Peters schwerster Fall“ und Teil drei „Keines natürlichen Todes“ sehr schnell durch war, bin ich mittlerweile mit Band vier „Starkes Gift“ ebenfalls fast durch. Und ich fürchte, das wird nicht der letzte Teil dieser 12-bändigen Serie sein, der seinen Weg in meine überfüllten Regale finden wird.
Beim Lesen gibt es zwar ein paar kleinere Ähnlichkeiten zum Hauptcharakter Albert Campion von Margery Allingham, da dieser jedoch erst 1929 das Licht der Welt erblickte, tut es meinem Lesevergnügen keinen Abbruch. Zudem war es ab etwa den späten 1880ern oder den frühen 1900ern in der englischen Kriminalliteratur Mode einem ermittelnden Polizisten einen adligen Hobbydetektiv zur Seite zu stellen. Dies kam einfach daher, da es damals noch sehr starre Standesunterschiede gab und Polizisten zwar nicht gerade Abschaum aber gesellschaftlich doch sehr weit unten angesiedelt waren. So war es einem Polizisten fast unmöglich in gehobenen Kreisen verdeckt zu ermitteln, da ihn seine Aussprache und das fehlende Insiderwissen über die richtigen Umgangsformen sofort verraten hätte. Da gerade der Leserkreis des Krimi-Genres jedoch aus eher sozial Höherstehenden bestand, musste ein Weg gefunden werden für dieses Klientel ansprechende Fälle zu präsentieren. Und das war der Hobbydetektiv.
Doch zurück zu Dorothy Sayers. Lord Peter Wimsey ist der zweite so dass die Bürde des ererbten Titels an seinem Bruder hängen bleibt und er seine viele Freizeit und die üppigen finanziellen Mittel frei zur Verfügung hat. Um nicht an Langeweile zu leiden, sammelt er Erstausgaben verschiedener Bücher und löst Kriminalfälle zusammen mit seinem besten Freund Inspektor Parker. Dabei ist schwer zu sagen, was seinen konservativen Bruder mehr stört: die Tatsache, dass der gute Familienname mit Kriminalfällen in Kontakt gebracht wird oder dass ein Familienmitglied freundschaftliche Beziehungen zu einem Polizisten unterhält. Ja, früher war doch nicht alles besser…
Lord Peter ist intelligent, nicht gutaussehend und blödelt gerne herum oder schwätzt einfach wild drauf los. Die Passagen scheinbar ziellosen Geredes sind teils unterhaltsam, grenzen bisweilen aber auch ans nervige, passen jedoch ausgezeichnet zu dem Charakter und ich nehme sie daher nicht übel. Interessant ist auch, wie viele Zitate aus Büchern, die heute vermutlich fast keiner mehr kennt, geschickt eingebaut werden. Diese Zitate haben sogar schon dazu geführt, dass ich mir den Wikipedia-Artikel zu so einem klassischen Werk durchgelesen habe. So habe ich sogar noch etwas für meine Bildung getan.
Ein weiterer Pluspunkt dieser Serie sind die bisher völlig unterschiedlich gearteten Fälle. Keines der drei bisher gelesenen Bücher folgte dem klassischen Muster man hat eine Leiche, ermittelt in deren Umfeld und findet den Mörder. Im ersten Buch hat man zwar eine Leiche aber keine Ahnung wessen Leiche das ist. Im zweiten Fall hat man zwar eine bekannte Leiche und die sofortige Verhaftung des Bruders von Lord Peter, was einen interessanten Einblick in die damalige englische Gerichtsbarkeit (den Hochadel betreffend) gibt aber einen durchaus unerwarteten Schluss und im dritten Buch gibt es streng genommen gar keinen Fall, da der länger zurückliegender Tod einer alten Dame von zwei Ärzten als „natürlich“ eingestuft wurde, Lord Peter jedoch schon lange auf der Suche nach dem perfekten und daher unerkannten Verbrechen ist und in diesem „Fall“ seine Chance sieht. Und im vierten Teil geht es darum eine bereits abgeschlossene Ermittlung zu widerlegen, da er überzeugt ist, die des Mordes angeklagte Schriftstellerin wäre unschuldig und sein bester Freund als ermittelnder Beamter hätte einen schweren Fehler gemacht. Ich bin auf jeden Fall sehr neugierig, wie es nicht nur mit diesem Buch weitergeht!
Was mich ebenfalls freut ist, dass die Nebenfiguren erhalten bleiben. Denn gerade dieser Mikrokosmos m den Hauptcharakter reizt mich bei den meisten Büchern. Mit Schaudern denke ich daran, wie bei der Mitchell und Markby-Reihe von Ann Granger in jedem Buch eine neue „beste Freundin“ gefunden wird, die hinterher nie wieder auftaucht. Nicht jedoch hier. Bisher tritt neben den beiden Ermittlern und dem unverzichtbaren Butler auch die gesamte Familie Wimsey (Bruder mit Frau, Schwester und Mutter) regelmäßig auf. Und es deutet sich bereits an, dass dieser Personenkreis noch vergrößert werden wird. Wer einmal Krimis mit einem sensationellen Makrokosmos (von Mikrokosmos kann hier nicht mehr die Rede sein) ist bei Deborah Crombie gut aufgehoben. Jedoch muss man die Bücher um Alan Kinkaid und Gemma James zwingend in der richtigen Reihenfolge lesen, da in jedem Buch mindestens eine neue Figur dazukommt und man sonst heillos den Überblick verliert, wer zu wem gehört und welche Funktion hat! Außerdem ist die private Rahmenhandlung um das Ermittlerduo ebenfalls sehr ausgeprägt und spannend.
Fazit: Wer Freude an einem leicht schrulligen (deutlich weniger ausgeprägt als bei dem oben erwähnten Albert Campion) Hobbyermittler hat und sich an dem vielen „Euer Lordschaft“ des Butlers nicht stört und sich zudem für eine vergangene Epoche interessiert ist hier genau richtig. Auch wenn ich ein bisschen Zeit gebraucht habe, damit warm zu werden. Das erste Buch hat mich nicht sofort gepackt, machte aber dennoch Lust auf mehr.